Die beiden Katzen Miezi und Molli waren Begleiter meiner Kindheit. Miezi hatte ein glänzendes Fell, gestreift wie ein Tiger. Sie war mager, flink und etwas eigensinnig. Molli war dagegen dicklich, hatte ein graues Fell und ließ sich gerne streicheln. Die Katzen waren aber nicht zum Spielen da, sondern zum Mäusefangen. Ich wohnte mit meinen Eltern und fünf älteren Geschwistern am Rande der Stadt, umgeben von einem großen Garten und Obstbäumen. Außer Miezi und Molli gab es noch einen Schäferhund, zwei Schweine, Hühner, ein paar Hasen und manchmal auch zwei Gänse. Als Kind hatte ich zu unseren Tieren eine innigere Beziehung als zu den Erwachsenen, deren Welt ich als autoritär und eher feindlich erlebte. Wurde ein Schwein geschlachtet, empfand ich das als den Verlust eines Freundes.
Die innige Beziehung zu Tieren in meiner Kindheit war vermutlich der Grund dafür, dass ich später begann, Tiere fotografisch zu porträtieren. Zunächst nahm ich menschliche Posen als Vorbild, wenn ich Tiere fotografierte, doch schon bald kehrte sich das um. Wenn ich Menschen porträtierte, wünschte ich mir „tierische“ Gesichter, ohne Posen und unnötiges Lächeln, ohne die Hinterfragung: „Wie sehe ich aus?“
Tiere kennen ihr Spiegelbild nicht und haben vermutlich keine Komplexe bezüglich ihrer Erscheinung. Bei ganz alten Menschen fand ich diese Selbstakzeptanz am ehesten – dem Baby ähnlich, dem das Aussehen völlig unbewusst ist. Dennoch: Menschen und Tiere sind artverwandt, und auch Tiere möchten geliebt werden. Mit ihrem ausgeprägten Instinkt können sie sehr schnell unterscheiden, ob sie gemocht werden oder nicht. Hunde, Katzen und viele andere Tiere haben keine Scheu, ihre Empfindungen zu zeigen. Vielleicht glauben wir deshalb zuweilen, im Ausdruck eines Tieres einen sorgfältig verborgenen Part unseres eigenen Innenlebens zu entdecken.
Walter Schels, Nachwort zu „Tierische Porträts“, Edition Stemmle, 2001