Musiker

Walter Schels misstraut dem Lächeln. Seine Musikerporträts lehren nur zu deutlich, dass er jenes gewinnende (gewinnbringende) Lächeln, mit dem öffentliche Personen sich so gern angenehm und unverkennbar machen, für einen Täuschungsversuch hält. Er steht auf Seiten von Heinrich Böll, der Politikern, die er sowieso nicht leiden konnte, zornig vorwarf, sie seien „die großen Grinser“. Solche Unnatur erbitterte Böll. Schels mag sie gleichfalls nicht hinnehmen. Dass „Lächeln ein Erglänzen der Seele“ sei, wie Valéry es einst formulierte, glaubt Schels den Lächelnden nicht. Er will das Eigentliche suchen, finden und fixieren. Was aber könnte das sein? Musikliebhaber, die Großes erlebten, wenn sie in Opernaufführungen oder auf Konzertpodien von Sängerinnen oder Sängern hingerissen wurden, wenn sie Dirigenten bei der befeuernden Arbeit sahen, wenn sie Instrumentalisten bewunderten – möchten es auch wissen: Wie sind die eigentlich wirklich?

Man blickt auf das Fotoporträt eines Künstlers mit der anthropologisch heißhungrigen Frage nach der eigentlichen Person hinter ihrer hohen Kunst. Nach der geheimnisvollen Übereinstimmung zwischen den Erfahrungen, die jemand gemacht hat, und der Kunst, die er zustande bringt. „Übereinstimmung“ ist etwas Vages. Wir alle kennen Künstler, die im Privatleben graue, unscheinbare Mäuse sind, aber auf dem Podium erblühen und erglühen.

Auch der Gegentyp kommt vor – die raumbeherrschenden „Meister“. Sie tendieren, vielleicht unbewusst, dazu, ihre wirkungsvollsten Darbietungsweisen in effektvolle Posen zu verwandeln. Das alles sind Extreme. Zwischen Ihnen fasziniert die Fülle des Lebendigen. Niemand kann jahrzehntelang ein leeres Blatt bleiben, auf welches der Notentext seine Anweisung schreibt.

Um Verbindlichkeit zu erlangen, muss man als künstlerischer oder produktiver Mensch auch ein eigenes Pathos, eine eigene Haltung gewinnen, wie schwer, peinvoll, verräterisch das auch sein mag.

Schels macht möglich, dass wir großen Musikern ganz unmittelbar in die Augen blicken. In diesen Augen lodert Siegeswille. In jenen glüht Angst, ja Verstörung. In und wieder entdecken wir die Ruhe einer in Musik geborgenen Seele. Oder auch raubtierhafte Kraft, deren (musischer) Gewalt nichts widersteht. In manchen Künstleraugen verbirgt sich der Drang, paranoid besessen und entschlossen – unkommunikativ dem endlich gewonnenen „Eigenen“ zu dienen. So viel können Künstleraugen verraten. Man muss nur genau hinschauen.

Joachim Kaiser
Vorwort zu Walter Schels: "Musikerporträts"

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